Wenn es darum geht, den Bürger gängeln zu können, sind der Fantasie in den Brüsseler Amtsstuben keine Grenzen gesetzt. Die Europäische Kommission hat sich nun mit Facebook, Twitter, Youtube und Microsoft auf die Kontrolle von Einträgen und die beinahe in Echtzeit stattfindende Löschung derselben geeinigt, wenn sie gegen die von ihr vorgegebenen Richtlinien verstoßen.

Nichts anders als Überwachung ist es, was EU-Justizkommissarin Vera Jourova in Brüssel ankündigte, nämlich die Prüfung von „stichhaltigen Anträgen“ auf Löschung von vermeintlichen Hetz-Einträgen in weniger als 24 Stunden. Die Absprache ist Teil eines Verhaltenskodex, der die Unternehmen auch dazu verpflichtet, ihre Nutzer zu sensibilisieren, welche Meinungen erlaubt sind und welche nicht. Doch wann gilt ein Eintrag in den sozialen Netzwerken als „Haßkommentar“, als „Hatespeech“?

Jeder wird zum Denunzianten

So genau weiß das keiner. Dem Rechten gelten die Kommentare des Linken als Hetze und dem Linken die des Rechten. Jeder wird zum Denunzianten. Ein Klick auf den „Melden“-Button genügt. Am Ende werden alle Einträge, die auch nur eine winzige Spur von der Mehrheitsmeinung abweichen, bei der Internet-Polizei gemeldet. Dadurch werden nicht nur tatsächlich illegale Einträge gelöscht, sondern auch kritische Überlegungen abseits der politischen Agenda.

Ist diese perfektionierte Meinungsüberwachung schon schlimm genug, kommt ein weiterer Negativ-Effekt hinzu. Amerikanische Psychologen haben Internetnutzer diskret darauf hingewiesen, daß sie von der NSA überwacht würden. Anstatt offen ihre Meinung zu äußern, paßten sie ihre Kommentare der Mehrheitsmeinung an, berichtete das Wissenschaftsmagazin Journalism and Mass Communication Quarterly vor einigen Wochen.

Erhöhte Bereitschaf zu vorauseilendem Gehorsam

„Wenn Internetnutzer glauben, ausspioniert zu werden, werden Minderheitsmeinungen unterdrückt“, betont die Studienautorin Elizabeth Stoycheff. Und das Bewußtsein, überwacht zu werden, führe neben einer Selbstzensur auch zu einer erhöhten Bereitschaft, vom Mainstream abweichende Meinungen in vorauseilendem Gehorsam zu unterdrücken.

Die Organisation European Digital Rights kritisierte den Verhaltenskodex. Durch die Abmachung zwischen EU und Internetunternehmen würden nicht die Strafverfolgungsbehörden die Kontrolle von relevanten Beiträgen übernehmen, sondern die Firmen. Und die sollen gemäß des Kodex’ auch gleich ihre Mitarbeiter schulen, sprich, auf Linie bringen.

Nachdem realer Terror und aufblühender Haß in Europa die Tür zur Total-Überwachung aufgestoßen haben, prescht die EU hindurch und perfektioniert den Ablauf. Noch gibt es Ausweichmöglichkeiten. Noch bietet das Internet, einst als Wegbereiter in ein aufgeklärteres, demokratischeres Zeitalter geltend, Raum und Alternativen. Aber auch dort gibt es Grenzen. Sind Sie erreicht, herrschen Repression, Angst und Drohungen. Freilich werden auch die das freie Wort nicht vollständig unterdrücken können. Das hat die Geschichte Europas schon mehrfach gezeigt.